Wattenmeermappe
Jo Oberhäuser zeigt Bilder von Bildern gegenwärtigen Geschehens. In seinen Collagen und Zeichnungen thematisiert er nicht ästhetischen Schein, stellt mithin keinen schönen Bilder her, sondern richtet sein Bewusstsein in Gänze auf das, was uns umgibt: die Realität. Realität nicht im philosophischen Diskurs, sondern Realität im Sinne gesellschaftlichen Zwangs. Der alltägliche Blick in die Zeitung, in den Fernsehmonitor mag verständlich machen, was uns bewegt: Neid, Streit, Folter, Verletzung, Tod. Die Schauplätze scheinen austauschbar zu sein: auf der Straße, im Stadion, in Südosteuropa, in den Labors oder im Krankenhaus. In dem Maße, in dem die Bilder mit unaufhaltsamer Geschwindigkeit gesellschaftlich einpeitschen, in eben dem Maße entzeiht sich das Individuum. Die Welt ist aus den Fugen geraten, Königmörder werden bisweilen bestraft, viele kleine, anonyme jedoch entkommen.
Und hier setzt Jo Oberhäuser an: Aus vielen Bildern, die zwar real existieren, doch keinerlei Bedeutung in einer konsumorientierten Gesellschaft mehr zu haben scheinen, macht er eines. Ein Bild, das verwundet erscheint, ein anderes Bild, in dem die Farbe Rot für Gewalt, Folter, Tod steht, ein weiteres Bild, das den unaufhaltsamen Wahn dieser Zeit in sich trägt. Jo Oberhäusers Bilder verdichten somit die unkontrollierte Masse an Bildern, die uns tagtäglich
entgleiten. Diese Bilder, auch wenn man es ihnen zunächst nicht ansieht, zeugen von einer tiefen Empfindsamkeit
ihres Sammlers, des Künstlers. Durch ihre Anklage radikalisieren sie ihren Standort. Sie treffen den Betrachter empfindlich.
Es geht in dieser Kunst nicht darum, Utopien zu verleugnen. Eher stellt der Künstler die Frage, wie Utopie sich verwirklichen
lässt, wenn Menschen sich und anderen Lebewesen derlei Grausamkeiten anzutun in der Lage sind. Die real existierenden Probleme der Menschheit, ob Waldsterben, Klimaveränderung, Atomschmuggel, Folter u. ä. lassen
sich nicht schönreden. In diesem Kontext hat es Jo Oberhäuser sich zur Aufgabe gemacht, durch ein Aufzeigen von Alltagsbrutalität bei uns anzuklopfen. Es ist nicht leicht, sich dieser kritischen Kunst zu entziehen.
Dr. T. Belgin (Ausstellungskatalog Wattenmeer-Umweltschutzprojekt, 1994)
Bilder gegen das Vergessen
Die überarbeiteten Collagen des Künstlers Jo Oberhäuser sind vehemente Reaktionen auf unsere Welt. Sie sind direkt und machen betroffen. Sie zeigen den alltäglichen Wahnsinn, wie er aus einer Bilder- und Informationsflut auf den modernen Menschen einströmt, ohne noch als wahnsinnig erlebt oder empfunden zu werden. Die Themen kreisen um Tod im Krieg, auf der Straße oder in den anonymen Sälen von Krankenhäusern, um Unfälle, um sog. Katastrophen, um das Leiden alles Lebendigen, um industrielle Naturausbeutung, um Krankheit, Schmutz und Umweltzerstörung, aber auch um falsche Sehnsüchte oder Mythen, an die der Mensch wie an einen letzten Strohhalm sich klammert. Oberhäusers Bilder sind Ausdruck einer radikalen Empfindsamkeit, die innere wie äußere Verletzungen markieren wollen und ihre Tendenz zur Klage und Anklage nicht verleugnen. Sie nehmen ihren Ausgang, scheinbar ganz traditionell, im uralten Anspruch von Kunst, etwas darzustellen. Konsequent bedient sich der Künstler dabei des Fotos und der Kopie, die nach weit verbreiteter Meinung diesem Anspruch in technisch perfekter Weise genügen.
Aber mit der Einführung der digitalen Fotografie, auf der Kölner Photokina von 1996 dem breiten Publikum vorgestellt,
ist gleichzeitig das Thema der Manipulierbarkeit von Bildern in besonderer Weise öffentlich geworden. Obwohl schon zuvor immer einmal wieder darüber zu lesen und zu hören war, ist das Thema jetzt durch zahlreiche Artikel auch in der Tagespresse einem viel breiteren Kreis erstmals bewußt geworden. Denn Dank Digitalisierung und PC ist inzwischen auch der private Nutzer in fast uneingeschränktem Maße in der Lage, technisch erzeugte Bilder nach seinem Geschmack zu generieren und zu manipulieren. Gleichzeitig steht mit dem Sehen ein Sinnesorgan zur Disposition,
dem wir Menschen am meisten zu trauen geneigt sind. Folglich müßten wenigstens Foto und Film weiter von ihrem seit je schon fragwürdigen Wahrheitsanspruch einbüßen. Ob dem so ist, mag bezweifelt werden.
Fast als Vorgriff auf solche Entwicklungen kann Oberhäusers Malerei gelten, obwohl oder gerade weil lange und zum Teil noch immer als unpopulär empfunden. Ausgangspunkt seiner Bilder sind häufig der Tagespresse entnommene Fotografien, Zivilisationsmüll vielerlei Art, eben Fundstücke einer aus den Fugen geratenen Konsumgesellschaft. In auffälliger Weise greift er dabei auf solche Bilder zurück, die über Mißstände, zivilisatorische Entartungen, Unglücksfälle u.ä. informieren wollen und gleichzeitig den Anspruch einer gewissen Moralität erheben könnten. „Schaut auf das Schreckliche! Empört euch! Erkennt die Mißstände!“ wären die geheimen Botschaften dieser Bilder, wenn sie nicht in solch inflationärer Weise über uns tagtäglich hereinfluteten, daß sie längst mehr oder weniger gleichgültig adaptiert werden. Es scheint so zu sein, als ob die immer größere Geschwindigkeit, in der Nachrichten ihre Konsumenten erreicht, deren Empfindsamkeit paralysiere bis zu einer Art „rasendem Stillstand“, wie ihn Paul Virilio in seinem gleichnamigen Essay diagnostiziert hat. Dort heißt es u.a. auf die Kunst bezogen, sie gebäre „Monument(e) eines Augenblicks, in dem das Werk eher erlischt, als daß es sich zeigt“ (S.37). Einer solchen Entwicklung versucht Oberhäuser in oben angedeuteter Weise entgegenzuarbeiten. Ihn leitet dabei auch das Wissen um den sich in immer rasanterer Weise relativierenden Wert von fotografischen Bildern, wenn zunehmend die Frage nach ihrer Echtheit gestellt werden kann.
Zwar kann der Künstler durch die Adaption solcher Fotos nicht ihren Wahrheitsanspruch sichern und will es auch gar nicht, doch indem er sie dem alltäglichen Umfeld entrückt, sie bearbeitet und in den Bereich der Kunstästhetik erhebt, verleiht er ihnen eine Qualität, die sie ohne solche Bearbeitung nie erreichen könnten, und gibt ihnen zusätzlich etwas von dem zurück, was sie vielleicht einmal bezweckten, nämlich jenen aufrüttelnden Gestus. Oberhäusers Kunst bezieht somit eine gesellschaftskritische Position mit einer ihr eigenen, immanenten Ästhetik, ohne dabei zu bloßer Agitprop zu werden. Sie lebt aus der in seinen Bildern unaufgelösten Spannung aus Form und Inhalten. Denkt der Betrachter die Fotos und Materialien aus den Bildern weg, so bleiben Malereien und freie zeichnerische Elemente zurück, so daß dem inneren Auge ein abstraktes Gemälde erscheint, auf dem z.B. gelbe und rote oder rote und blaue Farbflächen zueinander in Korrespondenz treten und ein Bild über dem Bild liefern. Stets aber bleibt deutlich, daß dieses Bild allein nicht funktioniert, d.h. im Prozeß der Übermalung gerade nicht verdeckt, sondern aufgedeckt wird, was als eine Art dialektisches Arbeiten begriffen werden kann. Dem entspricht ein dialektisches Schauen, das in der Negation eines Bildes durch dessen Überarbeitung eine Pointierung erkennt. Eine Ästhetisierung erfolgt somit nur scheinbar. Jene Auflösung, von der die Rede war, wird dem Betrachter aufgegeben und abverlangt, ohne daß er sie wirklich leisten könnte, denn Oberhäusers Bilder versetzen in eine permanente Spannung, die nicht harmonisiert werden kann.
In seinen Everyday-Sheets z.B., einer Art aufwendigem künstlerischem Tagebuch, reagiert Oberhäuser ebenfalls auf Naturausbeutung und -zerstörung, auf die Verrohung unserer Welt in Verbrechen, Krieg und Verarmung, realisiert er eine umfangreiche Thematik. Indem er sein Ausgangsmaterial, jene Fotos und Fundstücke, malerisch und/oder zeichnerisch bearbeitet, transformiert er es zunächst aus der Alltagsebene, in der es in der Regel konsumiert wird wie die letzten Fußballergebnisse auch, in die Ebene des schönen Scheins der Kunst. Dort aber funktioniert weder der gleichgültige Blick auf jene fotografischen Nachrichten noch der genießende auf Malerei und Zeichnung. So erreicht der Künstler, zugespitzt formuliert, eine wechselseitige Erhellung durch wechselseitige Zerstörung. Das „schöne“ Bild wird ungenießbar durch die darunterliegenden Sujets, das alltäglich gewordene Entsetzen kann nicht mehr wie gewohnt verdrängt werden. Das ist der Grund, weshalb Kunst für Oberhäuser keinen versöhnenden Charakter mehr besitzt, weshalb seine Bilder gerade durch ihre Form den von Virilio geforderten Zeigecharakter erhalten.
Vielleicht ist dem Realitätsverlust des fotografisch oder filmisch erzeugten Bildes auf die Dauer nur noch durch einen solchen eingreifenden künstlerischen Akt zu begegnen, aufzuheben ist er dadurch nicht. Dennoch müssen Bilder bewahrt, d.h. vor beliebiger Manipulation geschützt werden, um Erinnerung wie Mahnung sein zu können. Es erschiene paradox und schlüssig zugleich, wenn zu einer solchen Leistung in Zukunft nur noch eines der ältesten Medien der Menschheit, das malerische Gedächtnis, sich fähig zeigen sollte.
J. Schubert, „Bilder gegen das Vergessen“ (Ausstellungskatalog: Jo Oberhäuser, 1996)
Berlin City Puzzle
Fünfzehn Elemente oder Puzzleteile im Format 50 x 50 cm wurden spielerisch, wie bei einem auf dem Tisch zufällig
ausgebreiteten Puzzle, auf die Wandflächen des Raumes übertragen und so verteilt, dass sich eine visuell interessante, spannende Komposition ergab. Das richtig zusammengesetzte Puzzle ist durch ein Photo neben der Eingangstür dokumentiert. Das Bildmotiv des Puzzles stellt ein collagiertes Stadtpanorama Berlins gegen Ende des 20. Jahrhunderts dar. Je länger der Gast das Bild betrachtet, desto tiefer dringt er in die Historie ein und wird mit ihren Ereignissen konfrontiert. Ausgehend von der heutigen politisch-sozialen Situation und Beispielen aus der jüngeren
Geschichte – z. B. der Fall der Mauer und die Wiedervereinigung Deutschlands – soll sich ein vielschichtiges Spektrum eines historischen Erbes eröffnen, das sowohl als Mahnung wie auch als zuversichtlicher Hinweis auf eine künftige Epoche verstanden werden kann. Ein Patchwork zum Hören von bs janotte ergänzt das Puzzle.
„Berlin City Puzzle“, R 201 (Katalog Künstlerheim Luise, Weidle Verlag, 2001)
Kunst und Humor
„Nothing pleasant“ – nichts Freundliches: Jo Oberhäuser erreicht mit dem décollagierenden Abreißen eine Bloßlegung im Sinne einer Entlarvung von verbaler und inhaltlicher Doppelbödigkeit, etwa bei der Werbung für eine Schokoladenmarke (2007). Der Witz klärt auf, und Wolf Vostell, der als Begründer des Décollage-Prinzips in der jüngeren Kunstgeschichte gilt, verfolgte mit seiner politisch ambitionierten Kunst in den 1960er Jahren durchaus aufklärerische Ambitionen, allerdings weniger mit Mitteln des Witzes, sondern mit dem „Schock der Provokation“.
J. Raap (Ausstellungskatalog Kunst und Humor, 2009)